0
Archivbilder des Quartals 2025/4

Archivbilder des Quartals 2025/4

Trolleybusquartier Witikon

Witikon ist in verkehrshistorischer Hinsicht eines der interessantesten Stadtquartiere. Dieses Jahr hätte Witikon sogar ein Jubiläum feiern können: 100 Jahre Busverbindung in die Stadt. Zuvor war das Dorf nur per Postkutsche zu erreichen ‒ einmal täglich und nur werktags. Dann gab es ein Postauto, etwas später kam der städtische Autobus. Aber die Witiker wollten den Trolleybus. Dieser kam und blieb. Dabei gab es zur Erschliessung Witikons im Verlauf der Zeit die verrücktesten Pläne: Tramlinien ober- und unterirdisch, eine Variante sogar mit Kehrtunnel und eine weitere mit umgeleiteter Forchbahn. Alle wurden sie nicht verwirklicht. Witikon blieb ein Trolleybus-Quartier, während zehn Jahren unter Zuhilfenahme der kuriosen Bügelanhänger.

Archivbilder des Quartals 2025/4

Bis 1926: ÖV à la Habermotor

Tram Museum Zürich

Über 50 Jahre lang war das Dorf am Berg mit der Postkutsche erreichbar, als Zwischenstation der Route Zürich‒Maur. Die zweispännige Pferdepost verkehrte am Morgen in die Stadt, trat um 16 Uhr im Hof der Fraumünsterpost die Rückfahrt an, schaltete bei der Post Neumünster am Kreuzplatz einen Halt ein und erreichte nach 55 Minuten Witikon. In den Wintermonaten waren im Fahrplan 5 Minuten mehr eingerechnet. Etwas schneller ging es talwärts: 40 Minuten. 

Tram Museum Zürich

Am 30. April 1925 verkehrte der gelbe Wagen zum letzten Mal. Damit war die letzte Pferdepost im Kanton Zürich Geschichte. Nun übernahm ein 17-plätziges Schnauzer-Postauto den Betrieb, mit 3 Kursen täglich und rund 25 Minuten Fahrzeit. Witikon zählte zu dieser Zeit 600 Einwohner.

1931: Städtischer Autobus ersetzt Postauto

Tram Museum Zürich

Bereits 6 Jahre später gab es wieder eine Änderung. Nun kam der städtische Autobus nach Witikon. Die Linie C wurde am 1. Mai 1931 eröffnet. Das ging nicht ganz reibungslos. Die ersten 4½ Monate musste an der Waserstrasse gewendet werden, weil der Ausbau der Witikonerstrasse noch nicht abgeschlossen war. Und offensichtlich war auch die Strassenbahnverwaltung etwas überfordert, denn die grafischen Fahrpläne waren am Eröffnungstag noch nicht vorhanden, so dass sich das Fahrpersonal mit der Tagblatt-Publikation behelfen musste.

Tram Museum Zürich

Die Witiker hatten allen Grund zu feiern. Der Bus verkehrte jetzt alle 12 Minuten. Statt 1 Franken kostete das Billett jetzt 50 Rappen ‒ und galt erst noch für das gesamte Stadtgebiet. Zwar ging die direkte Verbindung zur Stadt verloren, doch am Umsteigepunkt Klusplatz gab es gleich 2, zeitweise sogar 3 Tramlinien. Das Postauto von Maur endete fortan in Witikon; der Betrieb dieser Linie wurde 1963 durch die VBZ übernommen.

Kriegsfahrplan

Tram Museum Zürich

Die Zufriedenheit der Witikoner endete mit dem Kriegsausbruch. Der Treibstoffmangel hatte einschneidende Konsequenzen für den Autobusbetrieb: Fahrplanausdünnung, zeitweise Betriebseinstellung und Betrieb mit Ersatztreibstoffen. Notgedrungen wurde ein Versuch mit Holzgasgeneratoren unternommen. Während diese Betriebsart auf ebenen Strecken befriedigte, wurde er auf der Witiker Linie zum Fiasko. Die oft vollbesetzten Busse konnten die Fahrzeiten nicht einhalten und quälten sich auf der Steilstrecke mit Schrittgeschwindigkeit bergauf. Der folgende Betrieb mit Methan bewährte sich besser, doch mussten die Busse zwischendurch zur Kehrichtverbrennung Josefstrasse, denn dort befand sich die einzige Tankstelle für das Methan. (Näheres siehe TMZ-Revue 2021.)

Trolleybus gefordert

Tram Museum Zürich

Bereits 1941 beschloss die Stadt, die Linie auf Trolleybusbetrieb umzustellen, denn die elektrische Traktion war für die Bergstrecke das einzig Richtige. Das nötige Material war beschafft, die drei bestellten Trolleybusse waren bereits im Bau und die ersten Masten aufgestellt, dann kam der Hammer. Das Armeekommando legte das Veto ein und verhinderte die Freigabe des für die Fahrleitung benötigten Kupfers. Die Stadt gab nicht auf, stellte ein Wiedererwägungsgesuch, dann ein zweites ‒ ohne Erfolg. Auch die Witiker ‒ mittlerweile 2300 Einwohner ‒ gingen auf die Barrikaden. Bei einer von der freisinnigen Kreispartei initiierten Protestversammlung forderten sie in einer einstimmig gefassten Resolution die unverzügliche Umstellung auf Trolleybus und schickten eine Delegation nach Bern. Doch erst Ende Februar 1946 erteilten die Bundesbehörden grünes Licht. Am 14. Oktober 1946 hatten die Witiker ihren Trolleybus. 1954 erhielt er die Liniennummer 34.

1946: Trolleybus-Enklave Witikon

Tram Museum Zürich

Vorher war allerdings noch ein Problem zu lösen. Fernab von den übrigen Trolleybusfahrleitungen entstand ein isoliertes Netz. Eine separate Garage kam nicht in Frage, ebenso wenig eine lange Dienstfahrleitung. Die alten Trolleybusse konnten zwar auf Batteriebetrieb umschalten, doch war die Leistung miserabel. Mit maximal Schrittgeschwindigkeit konnten nur ganz kurze Strecken zurückgelegt werden. Das Schleppen mit einem Trammotorwagen wurde erwogen, aber wegen der unterschiedlichen Fahrzeugbreite als zu riskant befunden, die Überfuhr hinter einem Autobus bei schwierigen Strassenverhältnissen als nicht praktikabel angesehen.

Bügelanhänger

Tram Museum Zürich

Die Lösung: In eigener Werkstatt wurde ein einachsiger Anhänger konstruiert. Er hatte einen Tramstromabnehmer und neben Pneus auch Tramräder zur Stromrückführung, ferner zwei Kabel zum Einhängen in die Trolleystangen.

Tram Museum Zürich

Bus und Anhänger fuhren aus der damaligen Busgarage Zweierstrasse (Kalkbreite) auf die Schienen in der Freyastrasse, wo die Pneuräder hochgezogen wurden. Dann gings auf den Tramgleisen zum Klusplatz. Hier wurden die Pneuräder des Bügelwagens durch Betätigung eines Hebels heruntergelassen, der Wagen abgekuppelt und von Hand zum Abstellplatz gestossen. 

Tram Museum Zürich

Der Kondukteur hatte sich während der Überfuhr beim Heckfenster aufzuhalten und den richtigen Lauf des Wagens in Bezug auf die Weichenstellung zu überwachen. Die Chauffeure kamen zuvor in Genuss von ein paar Fahrstunden. Die Durchfahrt zwischen den Haltestelleninseln, das Kreuzen mit den Tramzügen und die Weichenstellung über den Fahrleitungskontakt mussten geübt werden.

1956: Dienstfahrleitung

Tram Museum Zürich

1956 wurden die vier eigenartigen Bügelanhänger arbeitslos. Als die Tramlinie 1 auf Trolleybus umgestellt und folglich für die Linie 31 eine Trolley-Fahrleitung bis zur Burgwies errichtet wurde, baute man durch die Sempacherstrasse eine einspurige Leitung zum Klusplatz. Sie wurde auch für die Talfahrt zum Einfahren benutzt. Eine Trolleybusweiche gab es auf dieser Verbindung nicht. Der Kondukteur musste die Handschuhe überstreifen und die Ruten von Hand aus- und wieder eindrahten. Erst mit dem kondukteurlosen Betrieb gab es Weichen und eine separate Leitung für die Talfahrt. Es dauerte dann bis Ende 2007, bis am Klusplatz eine Verbindung zur 1998 verlängerten Trolleybuslinie 33 hergestellt wurde, so dass Ein- und Ausfahrten über diese Route stattfinden konnten.

Permanente Unzufriedenheit

Tram Museum Zürich

Es waren vor allem zwei Punkte, welche die Witiker immer wieder ärgerten. Da waren die verpassten Anschlüsse am Klusplatz und die Warterei bei den dortigen engen Platzverhältnissen. Daher war der Ruf nach einer direkten Verbindung zum Bellevue oder Hauptbahnhof während Jahren zu hören. Auch mit dem eingesetzten Rollmaterial war man nicht zufrieden, denn auf dem 34er verkehrten lange Zeit die kleinen zweiachsigen Trolleybusse («Truckli»), von den Witikern als Sardinenbüchsen empfunden. Erst mit der Ablieferung der neuen Gelenkwagen-Serie («Jumbo») 1974 wurden Gelenktrolleybusse für die Linie 34 in genügender Anzahl frei, um sämtliche Kurse damit bestücken zu können.

Tram Museum Zürich

Die Witiker Linie ist anspruchsvoll. Zwischen Klusplatz und Witikon sind 140 Höhenmeter zu überwinden, das Gefälle oberhalb der Schlyfi beträgt 8,8 Prozent. Legendär sind die Betriebsstörungen bei Schnee: Wenn PWs in der Steigung quer stehen, kommt auch der Bus nicht mehr durch.

2017: Endlich direkt in die Stadt

Tram Museum Zürich

Während der 34er zweimal bergwärts verlängert wurde, 1971 von der ursprünglichen Endstation Berghaldenstrasse zur Loorenstrasse und 1980 zur Kienastenwies, liess die Verlängerung Richtung Stadt weiter auf sich warten. Das vom Durchgangsverkehr geplagte Quartier ohne Tramanschluss gab nicht auf. Nach jahrelangem Kampf kam 2017 doch noch der Durchbruch. Die Linie 31 wurde vom Hegibach- zum Klusplatz verlängert und mit der Linie 34 verknüpft: Mit Schlieren‒Kienastenwies entstand eine Mammutlinie von 15 km Länge; seit 2021 sind es mit dem neuen Endpunkt Hermetschloo 12,85 km. Auch über das Platzangebot können sich die Witiker nicht mehr beklagen: Die Doppelgelenktrolleybusse bieten 155 Plätze ‒ welch ein Gegensatz zur 6-plätzigen Pferdepost von 1925!

Frühe Tramprojekte

Tram Museum Zürich

Bereits 1913 tauchten die ersten Trampläne auf. Die Stadt wuchs und auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten geriet das Gebiet Eierbrecht unterhalb Witikon in den Fokus. Im Gegensatz zu Witikon, das erst 1934 eingemeindet wurde, gehörte die Eierbrecht als ehemaliges Gemeindegebiet von Hirslanden bereits zur Stadt. Zur Erschliessung des neuen Wohngebietes plante man die Verlängerung der Tramlinie ab Klusplatz ‒ mit späterer Fortsetzung nach Witikon. 

Tram Museum Zürich

Einen Knackpunkt bildete das Stöckentobel mit dem Elefantenbach. Statt den Umweg über die problematische Kurve bei der Schlyfi einzuschlagen, wurde auf gerader Linie eine Brücke über das Tobel projektiert. 1930 erlangte die Stadt die Konzession für die gesamte Tramlinie nach Witikon. Dann kamen die Krisenjahre. Die Stöckentobel-Brücke wanderte in der Prioritätenliste immer weiter nach hinten, fiel schliesslich aus den Traktanden und demzufolge verliefen auch die ersten Trampläne im Sand.

Neuauflage unterirdisch

Tram Museum Zürich

Ab den 1970er Jahren wurde das Thema Tramerschliessung von privater Seite wieder aufgegriffen. Vorgeschlagen wurde unter anderem die Verlängerung der Linie 11 ab Rehalp mit einem Viadukt über das Wehrenbachtobel und anschliessendem Tunnel direkt in die unterirdische Haltestelle Zentrum Witikon. 

Tram Museum Zürich

Gedrängt durch Vorstösse im Gemeinderat ergriff hierauf der Stadt die Initiative. Ein Projektierungskredit wurde bewilligt, um mögliche Varianten zu prüfen. Eine oberirdische Führung auf der Witikonerstrasse kam von vornherein nicht in Frage: zu wenig Platz, zu einschneidend die Behinderungen des Verkehrs während der Bauzeit. Die von den beauftragten Ingenieurbüros ausgearbeiteten Varianten empfahlen die unterirdische Führung mit Linksverkehr, um ‒ wie beim Schwamendingen Tunnel ‒ die Zwischenstationen mit Mittelperrons bauen zu können. Unterhalb des Klusplatzes sollten die Gleise abgesenkt, die Wendeschleife aufgehoben, allenfalls beim Stöckentobel eine neue Wendemöglichkeit errichtet werden. Eine der Varianten sah auch eine Haltestelle im tiefer liegenden Quartierteil Eierbrecht vor. Um die angestrebte Höchststeigung von 70‰ nicht zu überschreiten, war für die Fortsetzung nach Witikon ein Kehrtunnel nötig. Doch hatte das Tram-Kehrtunnel wegen der höheren Bau- und Betriebskosten schlechte Karten. Die andern Varianten wählten eine direktere Linie und sahen die Erschliessung der Eierbrecht per Schrägaufzug oder Quartierbus vor. (Die Eierbrecht wurde 1989 tatsächlich durch die Quartierbus-Linie 36 erschlossen, aber Ende 1991 wurde die Linie wieder eingestellt ‒ mangels Frequenzen.)

Tram Museum Zürich

Die VBZ wollten dem tiefen ÖV-Marktanteil von Witikon unbedingt entgegenwirken. Im Fahrplan 1989 verdichteten sie den Takt des 34ers in den Stosszeiten sogar auf 4 Minuten, um mehr Witiker auf den Bus zu locken und damit das Tramprojekt zu legitimieren. Das Ergebnis war enttäuschend, die Frequenzen der Linie 34 verringerten sich sogar, weil manche Witiker die schnelleren Regionalbusse (Linien 47, 53, 86) bevorzugten, die mittlerweile mit allen Kursen zum Klusplatz verkehrten.

Umgeleitete Forchbahn

Tram Museum Zürich

Parallel dazu tauchte die Idee auf, die Forchbahn ab Zollikerberg ‒ grösstenteils unterirdisch ‒ nach Witikon zu führen und dort mit dem Tram Witikon zu verknüpfen, um später eventuell ein unterirdisches Stadtbahn-System zu erstellen. Eine Niederlage erlitt die Idee, als 1995 der Kantonsrat über der Richtplan debattierte. Der Antrag, die Forchbahn über Witikon in den Plan aufzunehmen, wurde mit 65 zu 54 Stimmen abgelehnt. Zu utopisch sei die Vorhaben. In jüngeren Linienentwicklungs-Studien war das Tram Witikon explizit kein Thema mehr: zu aufwändig, zu teuer. Witikon mit seinen mittlerweile 12 000 Einwohnern bleibt also beim Trolleybus.